Vom 01.10.2017 bis zum 30.09.2018 bzw. vom 01.01.2019 bis zum 31.12.2019 fanden zwei einjährige Datenerhebungen von jeweils ca. 30.000 Behandlungsfällen (das entspricht ca. 24.000 Patienten) in den 10 vitos Kliniken in Hessen statt.
Der umfangreiche Ergebnisbericht kann hier abgerufen werden:
Zusammenfassung:
Hintergrund: Psychopharmaka werden bei der stationären Akutbehandlung psychiatrischer
Patienten bei mehr als 90 % der Behandlungsfälle eingesetzt. Die unzureichende Einhaltung
von pharmakologischen Empfehlungen und Leitlinienvorgaben kann zu vermeidbaren,
potentiell schwerwiegenden Begleitwirkungen führen. Die Studie hatte das Ziel, an einer
großen Stichprobe Art und Häufigkeit solcher Arzneimittelverordnungen in der Psychiatrie zu
erheben und Möglichkeiten der Einflussnahme durch ein IT-gestütztes Tool zu untersuchen.
Methodik: Auf Grundlage einer Pilotstudie in zwei psychiatrischen Fachkliniken (n=2.400
stationäre Behandlungen) und Empfehlung des externen Expertengremiums erfolgte in der
ersten Studienperiode die Analyse aller stationären und teilstationären Behandlungsfälle in
den zehn beteiligten vitos Fachkliniken (n=29.563). Es sollte untersucht werden, ob durch ein
auf dieser Grundlage entwickeltes IT-gestütztes Tool zur Identifikation problematischer
Verordnungen sowie durch die Schulung von Verordnern, in der zweiten einjährigen
Studienperiode (n=29.656) eine signifikante Reduktion dieser Verordnungen erreicht wird.
Ergebnisse: Insgesamt wurden vier wesentliche Problembereiche identifiziert. Problematisch
ist die Verordnung von Substanzen, die sich gegenseitig in ihrem Abbau beeinflussen, die
Kombination von Präparaten mit anticholinerger bzw. die QT-Zeit verlängernder Wirkung und
die Gabe potentiell inadäquater Medikation bei älteren Patienten ab 65 Jahren (Priscus-Liste).
Durch Ersatz von nur 6 Wirkstoffen durch medikamentöse Alternativen ließe sich eine
Reduktion der problematischen Verordnungen um mehr als 85% erreichen. Etwa ein Drittel
der Patienten erhielt während des Aufenthaltes mindestens fünf Arzneimittel je
Behandlungstag (Polypharmazie). Das Risiko mindestens einer problematischen Verordnung
war in multivariat kontrollierten Modellen bei Polypharmazie etwa fünffach (Odds Ratio 5,17;
95% KI 4,90-5,44) bzw. für die Gabe von potentiell inadäquater Medikation dreifach erhöht
(Odds Ratio 3,10; 95% KI 11.03.2021 09:31:002,57-3,63). Das
Krankenhausinformationssystem-integrierte, neu entwickelte IT-gestützte Tool und gezielte
Schulungen hatten im Studienverlauf allerdings bisher nur geringe bzw. lokale Effekte auf das
Verordnungsverhalten. Durch maschinelle Lernverfahren war es aber möglich, bei Aufnahme
der Patienten das Risiko der problematischen Verordnungen (ROC 0,72, 95% KI 0,72–0,73)
und der Wahrscheinlichkeit der Polypharmazie (0,83, 95% KI 0,82–0,83) mit einer relativ
hohen Vorhersagegüte zu prädizieren.
Diskussion: Algorithmusentwicklung, Extraktion und Standardisierung medikamentöser
Verordnungsdaten durch das Projekt schaffen wesentliche Voraussetzungen für eine
nachhaltige Optimierung der Pharmakotherapie. Die Umsetzung in die Versorgung erfolgt
durch die kontinuierliche Weiterführung der klinischen Medikationsdatenauswertung
verbunden mit der Einstellung klinischer Pharmazeuten zur Beratung der klinischen Verordner